Quereinstieg

Der alternative Weg in den Beruf

Sascha Conrad hat das geschafft, von dem viele träumen: Den Quereinstieg in die Medien­branche. Im Interview beschreibt er seinen Weg. Nach einem Talent­wett­bewerb wurde aus dem Lehr­amts­studenten schnell ein erfolg­reicher Video- und Crossmedia-Journalist.

Aus der eigenen Erfahrung heraus gibt er Tipps für Newbies, die ohne klassische Ausbildung in den Arbeitsfeldern Trimedialität und Crossmedia durchstarten wollen. Zum Schluss  wagt er den Blick in die Glaskugel und beschreibt, wie das heutige Fernsehen in 10 Jahren aussehen könnte.

Porträt Sascha Conrad

Sie haben Anglistik und Politikwissenschaften für das Lehramt studiert. Später sind Sie als Quereinsteiger in Radio und Fernsehen durch­gestartet. Wie kam es dazu?

Ich war mir lange unsicher, ob ich wirklich Lehrer werden möchte, weil ich kein Fan des deutschen Schulsystems bin. Die Inhalte des Studiums haben mich überzeugt, weil ich mich für Sprachen und Politik interessiere. Ich mache auch leidenschaftlich gern Musik.

Deswegen bin ich nach meiner Zwischenprüfung für zwei Jahre nach Berlin gezogen, um in einem Band­projekt Gitarre zu spielen. Das war nicht sonderlich erfolgreich, aber dafür lehrreich. In Halle und Leipzig habe ich danach bis zur „Scheinfreiheit“ studiert, das Examen aber nicht mehr abgelegt.

„Das war die Chance, alles ausprobieren zu können, worauf ich Lust hatte. Diese Jahre waren wie eine trimediale Ausbildung, von der ich noch heute profitiere.“

Denn im Jahr 2008 gab es beim Radiosender MDR SPUTNIK den Contest „SPUTNIK sucht den Radiostar“, bei dem ich unter ein paar hundert Bewerbern bei den fünf besten landete. Plötzlich hatte ich einen Job in der sehr frischen Videoredaktion von SPUTNIK. Ich habe als Presenter vor der Kamera ange­fangen, wollte und sollte aber auch drehen und schneiden.

Wir nannten uns Videojournalisten (was damals ziemlich neu war) und haben alles selbst produziert. Das fand ich großartig. Über das Netzwerk im MDR kam ich auch an andere Jobs. Für ARTE produzierte ich mehrmals VLOGs von der Leipziger Buchmesse und wurde auch als Autor für Fernsehbeiträge angefragt, meist von der Kulturredaktion.

Gibt es generell viele Quereinsteiger/innen in Ihrer Branche?

Das kann ich nicht verallgemeinernd beantworten. Es gibt Kolleg/innen, die Journalismus oder Medien­wissen­schaften studiert haben. Ich kenne aber auch Autodidakten mit sehr speziellen Fähigkeiten, die beim Radio, im Fernsehen oder im Netz gut nachgefragt werden.

Hat jede/r, der sich für Fernseh-Journalismus interessiert, eine Chance als Quereinsteiger/in?

Ein Quereinstieg ist möglich, wenn man etwas kann, was die Branche braucht, das man an anderer Stelle schon bewiesen hat. Wenn ich mich als Video­journalist/in, Fernsehautor/in oder Editor/in bewerbe, habe ich bei einer Initiativ­bewerbung mit meinem hochwertigen Showreel [·ein Video-Zusammen­­schnitt der besten Arbeits­proben·] gute Chancen.

„Menschen, die quereinsteigen, sollten die Frechheit besitzen, sich über Scheine und Zertifikate hinweg­zusetzen, die ihre Eignung belegen sollen.“

Sie haben in Redaktion und Produktion für Radio und Fernsehen gearbeitet, waren vor und hinter der Kamera: War das die Möglichkeit, sich auszuprobieren? Muss man heutzutage so flexibel sein?

Flexibilität empfinde ich nicht als Muss. Ich liebe die Abwechslung. Ich hatte das Glück, in einer Zeit bei MDR SPUTNIK einzusteigen, als sich Radio, Bewegtbild und Internet aufeinander zubewegten. Trimedialität war fast ein Kampfbegriff.

Das war die Chance, alles ausprobieren zu können, worauf ich Lust hatte. Diese Jahre waren wie eine trimediale Ausbildung, von der ich noch heute profitiere.

Welche Eigenschaften sollte ein/e Quereinsteiger/in unbedingt mitbringen?

Menschen, die quereinsteigen, sollten die Frechheit besitzen, sich über Scheine und Zertifikate hinwegzusetzen, die ihre Eignung belegen sollen. Sie sollten mit Mut und Selbst­bewusstsein an ihre Fähig­keiten glauben und sie unter Beweis stellen.

Die unbedingte Freude, Neues lernen zu wollen, gehört auch dazu. Quer­einsteiger/­innen haben einen großen Vorteil. Sie kommen von draußen und bringen frische Luft rein. Das kann jedes Medienhaus gut gebrauchen.

Wie sieht ein Arbeitstag eines/einer freien Videojournalist/in aus?

Flexibel. Heute ein Konzept erarbeiten oder ein Format entwickeln. Morgen etwas drehen. Und übermorgen schnei­den. Manchmal auch alles an einem Tag.

Wenn Sie an YouTube und Mediatheken denken: Ist das Internet eine Chance für das Fernsehen?

Ich besitze seit Jahren keinen Fernseher mehr, dafür einen recht schnellen Internet­anschluss.  Ich sehe, wie sich das Fernsehen bemüht, nicht zu sterben. Da werden Inhalte oft eins zu eins in die Mediatheken oder bei YouTube hoch­geladen. Das weiß ich zu schätzen, denn es liegt nicht unbedingt am Content, dass das klassische Fernsehen an Bedeutung verliert. Auch die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind stellenweise ganz gut.

„Wenn man die exponentielle technische Entwicklung der letzten 30 Jahre betrachtet, kann man sich kaum vorstellen, wie Fern­sehen in zehn Jahren aussehen wird.“

Dennoch werden diese Plattformen nie so innovativ sein wie YouTube. Denn die beliebte Social-Video-Plattform gehört Google, dem größten Werbe­unter­nehmen der Welt. Google weiß, wie man Aufmerksamkeit durch Algorithmen so steuert, dass man möglichst lange dranbleibt, um Werbung zu konsumieren.

Deswegen finde ich die Idee einer gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Streaming-Plattform extrem gut. Ich hoffe, dass man irgendwann darauf verzichten kann, einem globalen Werbeunternehmen Inhalte zu schenken, die mit Rundfunkgebühren finanziert wurden.

Wie können wir uns Fernsehen in zehn Jahren vorstellen?

Wenn man die exponentielle technische Entwicklung der letzten 30 Jahre betrachtet, kann man sich kaum vorstellen, wie Fernsehen in zehn Jahren aussehen wird. Das Angebot wird personalisierter und die Mediennutzung höchstwahrscheinlich mobiler.

Dann skippe ich mich durch Video-Playlists, die auf meine Vorlieben abgestimmt sind. Nachrichten schaue ich mit meiner intelligenten Brille, längere Filme auf dem Breitbild-Display meines autonomen Fahrzeugs.

Bis dahin haben die öffentlich-rechtlichen Sender einen modernen Rundfunkstaatsvertrag, der es ihnen erlaubt, Inhalte von allgemeinem gesell­schaftlichem Interesse unbegrenzt lange im Netz stehen zu lassen. Dadurch entsteht eine visuelle Welt-Bibliothek, die für alle frei zugänglich ist. Ich denke, genauso wird es kommen. ;¬)

Was stört Sie öfter mal als Fernsehzuschauer?

Fernsehzuschauer bin ich nur, wenn ich in Hotels zu Gast bin. Da stört mich eigentlich nichts. Ich bin eher fasziniert davon, wie viel gescripteter Schrott jeden Tag über den Bildschirm läuft. Ich kenne Leute, die sich das reinziehen. Einige gucken das ironisch, andere starren darauf wie auf einen Unfall. Beim Auschecken bin ich meist erleichtert, weil ich weiß, dass ich nichts verpasse, so ohne Fernseher.

Welche aktuellen Projekte stehen bei Ihnen an?

Da ich freiberuflich arbeite, kann ich besondere Produktionen realisieren. So habe ich kürzlich ein achtmonatiges Projekt zum „Leben in einer frühbronzezeitlichen Siedlung“ abgeschlossen:  einen Museumsfilm, für den ich das Drehbuch geschrieben und die Postproduktion übernommen habe.

Im Herbst will ich Online-Workshops oder Webinare zu unterschiedlichen Themen anbieten und mein Wissen weitergeben. Da hat sich in den letzten zehn Jahren einiges angesammelt. Irgendwie kommt da das Lehramts­studium wieder durch.