Prof. Dr. Andreas Elter erläutert im Interview die Funktionsweise einer guten Dramaturgie sowie die Bedeutung der Ausspielwege für das Magazinformat.
Was kennzeichnet für Sie den Magazinjournalismus?
Magazinjournalismus ist für mich erst einmal eine Herangehensweise, die eine ansprechende Präsentationsform besitzt: Im Magazinjournalismus arbeitet man – im Gegensatz zu den Nachrichten – mit dramaturgischen Mitteln. Die Eigenart eines Magazins zeigt sich in einer bestimmten Mischung und Abfolge von Themen. Und es geht auch darum, dass jedes Magazin eine eigene Handschrift etabliert.
Im Magazinjournalismus hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles geändert, und doch bleibt das Bedürfnis nach Hintergrundinformationen mit einer unterhaltsamen Präsentation.
Prof. Dr. Andreas Elter
Im Buch behandeln Sie dramaturgische Schemata seit Aristoteles, die auch Spielfilme in Hollywood nutzen. Werden die Beiträge nicht recht ähnlich, wenn sich alle auf die gleiche Bauform beziehen?
Das stimmt teilweise: Nehmen wir die Heldenreise, die ist für 90 Minuten gedacht oder auch für ein Stück mit 20 Minuten. Und man kann sie auch auch auf 3 bis 4 Minuten runterbrechen. Die Geschichten sehen dennoch nicht gleich aus. Warum? Weil es einen Unterschied zwischen Grammatik und Vokabular gibt. Mit derselben Grammatik können wir ganz viele verschiedene Sätze bauen. Es ist immer derselbe Aufbau, aber die Sätze sind inhaltlich doch sehr unterschiedlich, weil sich die Vokabeln ändern.
Natürlich entwickelt sich die Grammatik auch immer weiter. Zudem gibt es neben Hollywood andere Dramaturgien, die durchaus interessant sind und ihre Berechtigung haben. So ist zum Beispiel das europäische Essay eine Erzählform, mit der man auch Geschichten erzählen kann!
Wozu braucht es spezielle Kenntnisse der Dramaturgie, wenn man in journalistischen Fernsehmagazinen die Abfolge von Ereignisse nachzeichnet?
Die Dramaturgie ist eines meiner Lieblingsthemen! Nehmen wir die Geschichte eines Unfalls. Da haben wir eine Chronologie, die kann ich von vorne erzählen oder auch von hinten aufrollen. Es gibt eine Art Ursache-Wirkung-Prinzip. Aber ist das spannend? Bei dem Unfall gibt es eine Vorgeschichte oder Ereignisse, die parallel passiert sind. Das hat Auswirkungen auf das Thema.
Daher muss man als Journalist eine Auswahl treffen und nicht versuchen, alles zu berichten, was passiert ist. Sondern nur das, was relevant ist. Dabei ist es keinesfalls unerheblich, was als Erstes, was als Zweites und was als Drittes gesagt wird. Man möchte doch, dass Zuschauerinnen und Zuschauer die Geschichte verstehen. Und so nähern wir uns dem Thema Dramaturgie: Wir entwickeln eine Ordnung oder eine Struktur, weil die helfen kann, die Dinge besser zu verstehen.
Sie beschäftigen sich seit 20 Jahren mit dem Magazinjournalismus. Was hat sich in der Zeit verändert?
Die einfache Antwort: Alles. Aber bestimmte Sachen sind natürlich auch geblieben: das Bedürfnis nach Hintergrund, also tiefer zu gehen. Und dabei eine Geschichte unterhaltsam, also nicht spröde oder langweilig, erzählt zu bekommen. Insofern ist Magazinjournalismus als Form nach wie vor gefragt.
Das Magazin ist ein bisschen wie ein Gemischtwarenladen, also durch seine Mischung gekennzeichnet. Man hätte es gerne nett aufbereitet, mit Bildern, und vielleicht noch von sympathischen Menschen erzählt. Ob junge Leute dieses Bedürfnis allerdings heute noch haben, da bin ich mir nicht so sicher.
Und wohin entwickeln sich die Magazine?
Interessanterweise haben die Ausspielwege einen Einfluss auf die Dramaturgie. Magazinjournalismus in der Form, wie wir ihn jetzt kennen, ist stark an das lineare Fernsehen gebunden. Das Magazin als Gesamtgefäß funktioniert jedoch dann nicht mehr, wenn Zuschauer im Internet nach einem Thema suchen und über Algorithmen zu dem Beitrag geführt werden. Die Struktur eines gesamten Magazins kann man nur wahrnehmen, wenn man linear konsumiert. Jeder Beitrag ist wiederum ein eigenes Element innerhalb der größeren Dramaturgie der Sendung. Und wenn es die große Dramaturgie nicht mehr gibt, dann werden sich auch die einzelnen Elemente ändern, also die Beiträge und die jeweiligen Dramaturgien.
Die Gelbe Reihe, in der das Buch erscheint, zeichnet sich durch eine starke Praxisnähe aus. Was heißt das für Ihren Beitrag über Dramaturgie?
Das Wissen um Magazine und Binnendramaturgie bleibt relevant. Schauen Sie zu YouTube: Die Creators machen ihr Ding. Benennungen und Klassifizierungen spielen da keine Rolle. Dennoch braucht es eine Idee, wie ein Beitrag zu bauen ist. Wenn man Magazinjournalismus als Profession begreift, ist es eine Frage der Zeit und des Arbeitsvolumens, einen Beitrag gut und schnell hinzubekommen.
Ein Satz, der mir sehr gefällt, lautet: „Nichts ist anwendungsfreundlicher als eine gute Theorie“. Studierenden erschließt sich oftmals die Theorie nicht. Da kann man mit Beispielen aus der Praxis sehr gut ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Theorie gar nicht so komplex oder gar nutzlos ist. Es war immer mein Ansatz, dass sich Theorie und Praxis gegenseitig befruchten. Und das ist auch der Geist der Gelben Reihe, was ich wirklich sehr gut finde. Das ist für mich anwendungsorientierte Wissenschaft.
Prof. Dr. Andreas Elter ist Historiker und Medienwissenschaftler. Nach einem Volontariat bei der Zeitung wechselte er zum WDR Hörfunk. Von da aus kam er zur ZDF Kindersendung Logo und war zudem in den Bereichen Nachrichten und Reportage für das Landesstudio tätig. Er promovierte an der Universität Köln und arbeitete für das RTL Nacht-Journal. Die Macromedia Hochschule berief ihn zum Professor für Journalistik. Auch an anderen Hochschulen wie in Leipzig war er als Lehrbeauftragter tätig. Bei der ARD-ZDF-Akademie ist er für die Weiterbildung im Bereich „Bewegtbild“ verantwortlich.