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Liebe deinen Leser wie dich selbst (Wolf Schneider)



Ein Gespräch mit Wolf Schneider


Wenn die Begriffe sich verwirren, ist die Welt in Unordung (Konfuzius). Könnten Sie das so unterschreiben, Herr Schneider?

Natürlich. Wir merken das gerade wieder: Angeblich hat jetzt der Frühling begonnen. Der Frühling ist eine rein begriffliche Erfindung. Wenn dann am 23. März die Kälte einbricht, hören wir: „ Zwei Tage nach Frühlingsanfang ist der Winter zurückgekehrt und es will einfach nicht Frühling werden, obwohl es seit dem 21. März Frühling ist.“ Also ein typischer Fall von Begriffsquälerei. Beim Frühling ist das kein Ärgernis. Aber wenn Sie an „Gleichheit“, „Gerechtigkeit“ oder „Sozialer Fortschritt“ denken, merken Sie, welches Unheil wir mit unseren Begriffen anrichten.

Die Politik ist das Paradies zungenfertiger Schwätzer (George Bernard Shaw). Gilt das auch für das Feuilleton?

Nein, zungenfertig müssen sie dort nicht sein. Schwätzen auf erhabene Weise, das tun Etliche in unseren großen Feuilletons. Mit dem Anspruch, „dass um Gottes Willen 90 Prozent der möglichen Leser mich nicht verstehen. Es wäre unter meiner Würde, wenn ich von zu vielen Leuten verstanden würde.“ Ich finde in jeder Süddeutschen, in jeder FAZ und in jeder Zeit Beispiele für einen erhabenen, mit anderen Worten: schamlosen Umgang mit den Lesern. Im Feuilleton. Sonst selten.

Man findet oftmals mehr als man zu suchen glaubt (Pierre Corneille). Bestätigt folgende abgewandelte Form Ihre Meinung „Man schreibt oftmals mehr, als man zu berichten hat.“?

Ja. Ein guter Text entsteht, wenn Sie viel weniger schreiben, als Sie wissen.

Der Stil kann nicht einfach und klar genug sein (Stendhal)

Nicht klar genug sein: allemal. Nicht einfach genug sein: mit Einschränkung. Er soll transparent sein. Aber das bedeutet nicht, dass man in lauter kurzen Hauptsätzen schreiben müsste. Man soll nur durchsichtige Sätze schreiben, denen der Leser mühelos folgen kann. Das kann auch mal ein weniger einfacher Satz sein. Beispiel Lichtenberg: Wenn du die Geschichte eines großen Verbrechers liest, so danke dem gütigen Himmel, dass er dich mit deinem ehrlichen Gesicht nicht an den Anfang einer solchen Reihe von Umständen gestellt hat. — Das ist nicht einfach, aber sehr schön der Reihe nach transparent. Ein wunderbares Deutsch!

Was ein richtiger Musiker sein will, der muss auch eine Speisekarte komponieren können (Richard Strauss). Was ein richtiger Journalist ist muss auch ...was können, Herr Schneider?

Man darf vor keiner Schreibaufgabe kapitulieren. Ein guter Berufsschreiber sollte fähig sein, über komplizierte Dinge einfach und über langweilige Dinge interessant zu schreiben. Ein klassisches Beispiel aus dem Stern: Da wurde zitiert, dass die Süddeutsche eine mehrspaltige Überschrift gemacht hatte, in der der Begriff „Kommunaler Finanzausgleich“ vorkam. Die Stern–Regel lautet: Wenn du schon über „kommunalen Finanzausgleich“ schreibst, so steht das Wort 1. nicht in der Überschrift, 2. nicht in der Unterzeile, 3. nicht im ersten Satz und 4. nicht im ersten Absatz. Sondern: Wenn du im ersten Absatz etwas gefunden hast, was diese verdammte Sache interessant macht, kannst du im 2. Absatz mitteilen „das lautet übrigens komischerweise ´kommunaler Finanzausgleich´.“ Auf der Lauer liegen, auch das fern Liegende oder hässlich Klingende wieder interessant machen, das ist guter Journalismus.

Gedanken sind nicht stets parat, man schreibt auch wenn man keine hat (Wilhelm Busch)

Hübsch gesagt. Und sicher auch eine faire Beschreibung des real existierenden Journalismus. Ich bemühe mich, mich davon frei zu halten.

In einem Artikel in der Zeit (Anm.: Ich hatte einen Traum, Zeit, 2005) in dem Sie über die Aussicht auf einen respektvollen Umgang mit der deutschen Sprache sinnieren, sagen Sie, dass Sie es unterlassen würden, Sportler kurz nach dem Wettkampf zu interviewen.

Im Gegenteil. Ich lade die Intendanten ein, ihren Sportreportern zu verbieten, dass sie auf den schwitzenden Sportler losrennen und ihm das Mikrofon entgegenstrecken. Ein schwitzender Sportler redet zwangsläufig Unsinn. Früher haben drei Leute ihn gehört. Jetzt hören ihn drei Millionen. Das ist eine Katastrophe für das öffentliche Sprachgefühl.


Das Gespräch mit Wolf Schneider fand im März 2007 in dessen Wohnung in Starnberg statt. Interview: Zehra Spindler

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